In „Tagen des Lichtes“. Zur Radikalität von Frauenrechten während der Revolutionen des 18. und 19. Jahrhunderts

Corinna Oesch

 

Gisela Bock reklamiert den Begriff „radikal“ in ihrem Essay „Die Frauenrechte als Menschenrechte. Olympe de Gouges‘ ‚Erklärung der Rechte der Frau und der Bürgerin‘“ (2009) für Olympe de Gouges. Sie stützt diese Zuschreibung auf eine Analyse von Biografie und Werk Olympe de Gouges, kommt aber letztlich durch den Vergleich mit einer anderen berühmten Vorkämpferin für Frauenrechte und deren Werk, nämlich Mary Wollstonecraft („Vindication of the Rights of Woman“) zu ihrer Einschätzung, letztere sei weniger radikal gewesen als erstere. Es scheint, als ob die Praxis des Vergleichens (oder im Falle von historischen Akteur:innen: die Inszenierung von Differenz) mit der Zuschreibung (oder Selbstidentifikation) des Radikalseins einhergeht. Im Falle der frühen Forderungen nach Frauenrechten, die aus den Debatten im Zuge der Revolutionen des 18. und 19. Jahrhunderts hervorgingen, ist die Zuschreibung des „Radikalen“ darüber hinaus meist mit der des „Neuen“, „Erstmaligen“ verknüpft. Von Zeitgenoss:innen wurden diese frühen Forderungen wiederum als eine Transgression von Normen wahrgenommen. Daraus ergibt sich eine zweifache Perspektive auf die Frage des Radikalseins: jene aus der damaligen Perspektive und jene aus gegenwärtiger Sicht, dem historiografischen Blick zurück. Ein weiterer Aspekt des „Radikalen“ lässt sich von der Bedeutung und Geschichte des Wortes ableiten, wenn nämlich das aus dem Lateinischen über das Spätlateinische und das Französische ins Deutsche übernommene Wort für „mit der Wurzel“ oder „von Grund aus“ mit einer Haltung von Akteur:innen verknüpft wird, die dazu führte, den Dingen „auf den Grund gehen zu wollen“ anstatt sich mit dem Gegebenen abzufinden. Hier zeigt sich eine Gemeinsamkeit zwischen den frühen Forderungen nach Frauenrechten, die eine in diesem Sinne radikale Haltung erkennen lässt. Es ging den Akteur:innen jeweils darum, Widersprüche in der Formulierung von Menschenrechten, einer staatlichen Verfasstheit oder im Zugang zum Wahlrecht aufzuzeigen und damit die Grundlegung von Menschenrechten als Männerrechte zu hinterfragen.

Ziel dieses Beitrages ist es, die hier skizzierten Fragestellungen zur Radikalität am Beispiel der 1848 anonym in Wien veröffentlichten Flugschrift „Gleichstellung aller Rechte der Männer mit den Frauen; oder: Die Frauen als Wähler, Deputirte und Volksvertreter“ vor dem Hintergrund weiterer Dokumente zu frühen Forderungen nach Frauenrechten zu diskutieren. Dabei soll auch aufgezeigt werden, wo Differenzen des Radikalen zwischen zentralen Texten auf die jeweiligen historischen Rahmenbedingungen zurückgeführt werden können und welche Schlüsse sich aus transnationalen Parallelen ziehen lassen. Ein weiteres Augenmerk liegt auf der sozialen Verortung der Verfasser:innen und möglichen Hinweisen auf Verbindungen zu weiteren Kategorien des Ausschlusses aufgrund von Klasse, ethnischer Herkunft, Hautfarbe und eventuell weiteren Faktoren sozialer Differenzierung in den Dokumenten früher Forderungen nach Frauenrechten.

 

 

Dr.in Corinna Oesch, Historikerin, Senior Postdoc im Rahmen des Elise Richter-Programmes (FWF) am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien. Forschungsschwerpunkte u.a. zur Zeitgeschichte mit Fokus auf Frauen- und Geschlechtergeschichte, Historiografie von Frauenbewegungen und transnationaler Geschichte.