Suffragetten: Militante Mobilisierung für radikale Ideen? 

Jana Günther

 

In Großbritannien gestaltete sich die Frauenbewegung heterogen. Die britische Frauenwahlrechtsbewegung kurz nach der Jahrhundertwende besticht durch ihre vielfältigen Formen symbolischer und inszenierter Politik, welche sich durch kreative, aber auch militante, Mobilisierungsstrategien ausdrückte. Exemplarisch für militante symbolische Politik jener Frauenbewegung ist die Entwicklung der Women’s Social and Political Union (WSPU), die sich zunächst aus den Kreisen sozialistischer sowie gewerkschaftsorientierter Frauen rekrutierte und aus einer bewegungstheoretischen Perspektive im Hinblick auf Radikalität eine wichtige – aber zugleich ambivalente – Rolle spielt. Besonders eine neue Generation von Frauenrechtler*innen schienen die neuen Aktions- und Mobilisierungsformen und die Solidarisierung über Klassengrenzen hinaus zu faszinieren. Allein in den Jahren zwischen 1904 und 1910 konnte WSPU einen enormen Zustrom an neuen Mitgliedern und einen exorbitanten „fund“ verzeichnen. Die Akquisepolitik der WSPU hatte der Organisation bis Ende 1910 immerhin über ₤88082,15 (1) beschert, was nur ein Indiz für die öffentlichkeitswirksame und durchaus als effizient zu beschreibende Mobilisierungsstrategie ist. Zur Aktionspolitik und Proteststilmittel gehörten beispielsweise Graffiti („chalking“ im öffentlichen Raum), „heckling“ (Störungen von Veranstaltungen) und aufsehenerregende Mobilisierungskampagnen im öffentlichen Raum.

Erstens bemächtigten sich Frauen also symbolisch die ‚männlichen‘ Domänen und zweitens gelang es ihnen auf diese Weise neue Sympathisant*innen für „the Cause“ zu gewinnen. Die zunächst humoristische ‚Leichtigkeit‘ (2) des Protests der Suffragetten in den Anfangsjahren, welche sich durch eine systematische Kaperung des öffentlichen Raumes auszeichnete, wich im Jahr 1910 einer „Öffentlichkeit um jeden Preis“. Die Entwicklung von der Kampagne „Deeds, not Words“ hinzu „Death or Victory“, welche auch Richtungswechsel in der Anwendung der Protestmittel bedeutete sowie eine verengte inhaltliche Aus- und Zielrichtung der Organisation. Inwieweit sich die Radikalität der Mobilisierung mit einer tatsächlichen Radikalität politischer Forderungen überschneidet, soll in dem Workshopbeitrag ausgelotet werden. Denn die spezifische Entwicklung der Organisation hat militante Akte erst möglich gemacht, im weiteren Verlauf aber radikale – auch klassenpolitische – Ideen (und Mitglieder) (3) konsequent ausgeschlossen. Hierfür muss insbesondere der Begriff der „Militanz“, den die Suffragetten für sich veranschlagten, vom Begriff der Radikalität abgegrenzt werden.

 

1 Votes für Women, No 147 vom 30.12.1910, S. 210.

2 Cowman, Krista (2008: „‘Doing something silly‘: The Uses of Humour by the Women’s social and Political Union“, in Hart, Marjolein’t; Bos, Dennis: Humour and Social Protest, S. 259.

3 Die Stimmen ehemals Verbündeter sozialistischer, sozialdemokratischer und pazifistischer Suffragetten fanden mit zunehmenden Organisationsgrad und zunehmender Militanz der WSPU nur noch wenig Gehör, nicht zuletzt weil sie von der Führung der WSPU ausgeschlossen wurden oder selbiger den Rücken kehrten. Dazu gehörten Teresa Billington-Greig, Charlotte Despard, Mary Phillips oder Evelina Haverfield, aber auch Unterstützer wie Keir Hardie oder George Lansbury. Selbst langjährige Geldgeber*innen und Organisator*innen wie das Ehepaar Pethick-Lawrence wurden aufgrund ihrer Opposition zum militanten Kurs ausgeschlossen.

 

Jana Günther ist promovierte Sozialwissenschaftlerin mit den Forschungs- und Lehrschwerpunkten soziale Bewegungen und Protestforschung, soziale Ungleichheit und Armut, Gleichstellungs- und Antidiskriminierungspolitik sowie klassische feministische Theorie. Sie ist Mitherausgeberin der wissenschaftlichen Periodika „Femina Politica“. Derzeit forscht sie zur Rolle der Frauenbewegungsorganisationen in der Kriegsindustrie.