Politische „Radikalität“ im Leben von Luise Geissler: Deutscher Kommunismus, Indischer Antikolonialismus und Freie Liebe in der Zwischenkriegszeit

Joanna Simonov

 

Die Beantwortung der Frage danach, wie „radikal“ Luise Geissler (1899–1973) war, fällt schwer. Radikal ist kein Begriff den Luise Geissler wählte, um ihren politischen Aktivismus selbst zu beschreiben und doch weisen ihre politische Karriere und ihr Lebensweg Aspekte auf, die sowohl aus zeitgenössischer als auch aus heutiger Betrachtung als radikal bezeichnet werden können. Dieser vermeintlichen „Radikalität“ von Luise Geissler spüre ich in meinem Beitrag nach, indem ich das Leben der in München geboren Kommunistin nachzeichne und ihre Teilhabe am revolutionären Aktivismus der Zwischenkriegszeit beleuchte. Nachdem Geissler als Teil des Aktionsausschusses der zweiten Münchener Räterepublik die politische Neuordnung Deutschlands eingefordert hatte und im Zuge der Rückeroberung Münchens verhaftet worden war, gelangte sie in den 1920er Jahren als KPD Mitglied über Zürich und Wien nach Moskau. Als ausgebildete Stenotypistin verdiente sie ihr Einkommen in den Büros der EKKI und der KPD; unterdessen strebte sie nach größerer politischer Teilhabe und Sichtbarkeit in der kommunistischen Bewegung. Als Verfechterin der „Freien Liebe“ pflegte Geissler eine Reihe von Beziehungen zu führenden deutschen, amerikanischen und indischen Kommunisten. Hierdurch erlangte sie Zugang zu Netzwerken und finanzieller Unterstützung, die ihr ermöglichten ihren Aktivismus weiter voranzutreiben. Im Jahr 1924/5 stand sie im Verdacht an der geplanten Ermordung von politischen Gegnern der KPD in Deutschland und an der Beschaffung biochemischer Waffen beteiligt gewesen zu sein. Kurze Zeit später reiste sie nach Chicago und New York, wo sie versuchte in der Arbeiter_innen Bewegung Fuß zu fassen. Nach ihrer Rückkehr nach Moskau im Jahr 1926 lernte sie den indischen Marxisten M.N. Roy (1887–1954) kennen. Durch ihre Partnerschaft wuchs ihre Verbindung zum radikalen indischen Antikolonialismus, der nicht davor Halt machte Gewalt einzusetzen um die britischen Kolonialherren aus Indien zu vertreiben. Im Jahr 1931 endete ihr kurzer Aufenthalt in Indien in ihrer erneuten Verhaftung und Landesverweisung.

 

Joanna Simonow: Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Geschichte am Südasien Institut/Centre for Asian and Transcultural Studies (SAI/CATS), Universität Heidelberg